Dienstag, 4. Juli 2017

Kein Strom aus der Mülenenschlucht

Wir nehmen den Stadtratsentscheid bedauernd zur Kenntnis, das Vorhaben zur Erstellung eines Kleinkraftwerkes in der Mülenenschlucht derzeit nicht weiter zu verfolgen. Wir haben Verständnis dafür, dass neben ökologischen, gesellschaftlichen und städtebaulichen Aspekten auch die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von Bedeutung ist. Doch möchten wir auch daran erinnern, dass Rahmenbedingungen zügig ändern können und jedes nicht realisierte Projekt die Dringlichkeit von Alternativen vergrössert.

Das Schweizer Stimmvolk hat Ja zur Energiestrategie 2050 gesagt und St.Gallen trägt seinen Teil mittels vermehrter Energieeffizient plus Zubau nachhaltiger Energieerzeugung bei. Richtigerweise verfolgt die Stadt mit ihrem Energiekonzept 2050 einen ganzheitlichen Ansatz. Dieser betrachtet die bedeutenden Bereiche wie Wärme, Elektrizität und Mobilität einzeln, berücksichtigt aber auch ihre gegenseitigen Wechselwirkungen. Das Konzept definiert 150 Massnahmen, um die städtische Energieversorgung zukunftsfähig umzubauen. Zwei dieser Massnahmen sind Kleinwasserkraftwerke auf Stadtgebiet. Bei der einen Anlage handelt es sich um das Kraftwerk Grafenau, das an der Sitter für 430 Haushaltungen umweltschonenden Strom produzieren und sich optimal ins Ökosystem einfügen soll.

Bis Juni 2018 wird diese Anlage von der Kraftwerk Burentobel AG erstellt. Eine zweite Kleinanlage war in der Mülenenschlucht vorgesehen. Sie sollte die knapp 70 m Höhenunterschied zwischen Berg- und Talstation der Mühleggbahn zur Produktion von jährlich rund 300‘000 kWh Strom nutzen. Damit könnten nebst der ursprünglich bereits von lokaler Wasserkraft angetriebenen Mühleggbahn zusätzlich noch 60 Haushalte versorgt werden. In der Mülenenschlucht hat die Steinach grosses Gefälle und verläuft mehrheitlich auf felsigem Untergrund. Da ist die Attraktivität als Lebensraum für Fische nur beschränkt gegeben und das diskutierte Kraftwerk tangiert deren Auf- und Abstieg nicht.
Und wie etwa der Industriewanderweg schön dokumentiert, war die Nutzung der Wasserkraft in diesem Gebiet schon früh ein prägender Faktor.

Aus unserer Sicht bietet der Standort Mülenenschlucht Potenzial für die Erschliessung einer nachhaltigen Energiequelle auf verträgliche Weise. Energiestrategisch hätten derartige Projekte Leuchtturmcharakter für den Umbau unserer Energieversorgung in einen nachhaltigen Wirtschaftszweig. Von 1893 bis 1950 wurde die Mühleggbahn bereits als Wassergewichtsseilbahn durch die Kraft des Wassers bewegt.

Dass der Stadtrat auf die Nachfolgeidee nun wegen mangelnder wirtschaftlicher Tragbarkeit verzichtet, heisst allerdings nicht, dass dieser Entscheid bei sich ändernden Rahmenbedingungen Bestand haben muss. Zwar wäre die Gelegenheit günstig gewesen, um in der anstehenden Sanierung des Mühleggbahntunnels Synergien zur gleichzeitigen Erstellung des Kleinwasserkraftwerks zu nutzen. Doch über künftige Entwicklungen der Technologie wissen wir so wenig wie über künftige Energiepreise.

Wir Grünliberalen werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass jede sich bietende Chance für eine lokale, nachhaltige und umweltverträgliche Energieversorgung seriös geprüft und unsere Stadt der von ihr erwarteten Vorbildfunktion gerecht wird. Dabei ist zweitrangig, ob es um systematische Anreize für Energieeffizienz, um Abwärmenutzung, Solarthermie, Photovoltaik, Wind- oder Wasserkraft geht. Denn all diese notwendigen Entwicklungen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.