Mittwoch, 17. Juni 2020

Ungenügende und falsche Massnahmen führen nie zur Velostadt

Man mache viel für Velofahrende, tönt es von Seiten der Stadt. Doch oftmals drängen diese Massnahmen Velos weiter an den Rand, bzw. von der Strasse weg.

Philipp Schönbächler wünscht sich den Tag, an dem eine Stadträtin oder Stadtrat die Worte des Brüsseler Stadtrats Bart Dhondt sagt: «Autos sind weiterhin willkommen. Aber sie kommen in der Prioritätenliste als letztes.» und Marcel Baur macht seiner Enttäuschung über das Nein des Parlaments zur Erheblichkeitserklärung unseres Postulats «Velostadt St.Gallen» in einem emotionalen Votum Luft: «Ich bin enttäuscht über all diese kleinen Projekte, die regelmässig die Situation für Velofahrende verschlechtern, anstatt sie zu verbessern.»

 

 

Postulat Grünliberale Fraktion: Velostadt St.Gallen; Frage der Erheblicherklärung,
Marcel Baur nach der Ablehnung der Erheblichkeitseerklärung:

 

Ich bin enttäuscht – enttäuscht von unseren 22 Leuchtturmprojekten, von denen in 10 Jahren genau 3 umgesetzt wurden.

 

Ich bin enttäuscht, dass die Velobahn (Ost-West-Verbindung) vom 3. ins 4. Aggloprogramm mit Option für das 5. Programm immer weiter verschoben wird und dies obwohl sie seit vielen Jahren Thema, ja, angeblich ein Schlüsselprojekt ist.

 

Und ich bin enttäuscht über all diese kleinen Projekte, die regelmässig die Situation für Velofahrer verschlechtern anstatt, sie zu verbessern. Manchmal wäre weniger mehr. Und es würde nicht der Eindruck entstehen, dass man beinahe panikartig noch etwas für die Velos auf den Boden zeichnet, nur um sagen zu können: Wir haben doch was gemacht!

 

Die Städteinitiative, das daraus resultierende Mobilitätskonzept und die Raumplanung werden im Postulatsbericht genauso erwähnt, wie vergangene und zukünftige Agglomerationsprogramme.

 

Es gibt aber auch noch eine Sachwachstellenkarte Rad und eine Volksabstimmung "Bundesbeschluss über die Velowege aus dem Jahr 2018. Beide werden nicht erwähnt. Es ist auch nicht erkennbar, wie und wo – ja ob überhaupt – diese jeweils in die Planungen einfliessen.

 

Der Stadtrat macht es sich sehr einfach, wenn er die Fragen mit einem Hinweis auf die verschiedenen Papiere als bereits beantwortet taxiert und zusammenfasst.

Wenn wir uns die grösseren Bauprojekte anschauen, dann vermissen wir nach wie vor den Willen, dem Velo die notwendige Prioritäten zuzugestehen. Von der Durchquerung des Olma-Areals ist wenig geblieben. Die Kreuzung Platztor und der Zugang zum Uni-Neubau ist so gut wie fertig geplant. Das Velo kommt darin, leider wenig überraschend, nicht gross vor.

Am Güterbahnhof wird eine durchgehende Velo-Strecke mit einer Barriere versperrt und im Riethüsli und an dutzenden weiteren Stellen auf Stadtgebiet dürfen die Velofahrenden mehrfach vom Trottoir auf die Strasse und wieder zurück wechseln. Wobei sie mittlerweile bei jeder nur erdenklichen Möglichkeit mit kleinen gelben Dreiecken darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie eben doch das schwächere Glied im Verkehr sind.

 

Alles in allem sind noch viel zu viele Fragen offen, als dass dieses Postulat mit den verkürzten und unvollständigen Antworten als erledigt betrachtet werden kann.

Und noch etwas zu denjenigen im Saal, die sich für die Nichterheblich-Erklärung entschieden haben. Wer beim Thema Velo eine Initiative startet, wer Interpellationen zu Veloschulwegen einreicht und sich auch sonst nicht so schnell mit den Velo-Antworten des Stadtrates zufrieden gibt, darf gerne nochmals kurz in sich gehen und überlegen, ob er oder sie wirklich zufrieden ist. Oder ob der anstehende Wahlkampf und eigene Initiativen vielleicht der Grund sein könnte, hier auf die Erheblich-Erklärung zu verzichten.

 

 

 

Philipp Schönbächler im Namen der Grünliberalen Fraktion:

 

Wir haben gerade erst über die emissionsfreie Stadt gesprochen. Auch dort war die Mobilität Thema. Wir haben uns gefreut über die deutliche, ich gehe davon aus vom Stadtrat mitgetragene, Sprache seitens der SGSW.

Dann aber die Ernüchterung. Wir lesen die Antworten auf unser Postulat «Velostadt St.Gallen», fragen uns: Kommen diese wirklich vom gleichen Stadtrat? Ich unterstelle, die Antwort lautet «Ja». Aber dann müssen zwischen diesen doch mindestens 15 Jahre liegen. Leider, ebenso nachweislich wie irritierend, «Nein».

Es ist erstaunlich zu erkennen, wie gross die Diskrepanz bezüglich der Ziele und Sichtweisen zwischen zwei Direktionen sein können. Und das obschon diese doch denselben Strategien verpflichtet sind – nehme ich mal an.

 

Einerseits hat es der Stadtrat, ohne es an Deutlichkeit mangeln zu lassen, aufzeigt, dass die Erreichung einer emissionsfreien Stadt nur mit einer umfangreichen Veränderung der Mobilität zu erreichen ist. Dann aber folgen Ausflüchte und schöne Worte, wird abgewogen und abgeschwächt was das Zeug hält.

Der Stadtrat will das Ziel der emissionsfreien Stadt mit der Reduktion des Kilometer-MIV-Anteil auf 45% erreichen. Super! Aber hier lesen wir nun, dass der als Mobilitäts-Grundpfeiler bezeichnete Veloverkehr überall dort, wo der MiV viel Platz braucht, nicht priorisiert werden kann. Zusammengefasst also eigentlich überall dort, wo’s relevant wäre. Es sei nicht verhältnismässig. Und dass der Langsamverkehr im Winter sowieso nur 2. Priorität hat gibt der Stadtrat unumwunden zu. Wie bitte gedenkt der Stadtrat das Ziel zu erreichen, wenn die Nutzung des Velos – oder auch zu Fuss gehen – im Winter dank Schneemaden und Eis gar nicht erst möglich ist?

 

Das sind Aussagen des Stadtrats derjenigen Stadt, mit dem kleinsten Anteil Veloinfrastruktur im Verhältnis zum Gesamtnetz. Aber dennoch soll offenkundig und partout dem MIV kein Raum entzogen werden? Da verwundert es auch nicht mehr, leben wir in der Stadt, wo zwar 70% der Einwohnerinnen und Einwohner einen direkten Zugriff auf ein Auto, aber nur deren 63% auf ein Velo haben. In einer Stadt, in der als einzige – im Vergleich mit Basel, Bern, Luzern, Winterthur und Zürich – die Anzahl Autofahrten zugenommen hat oder stagniert, während sie andernorts teils deutlich sinken.

 

Der Stadtrat wird nicht müde seinen Masterplan zu bewerben. Diese Beharrlichkeit verdient wirklich schon bald für sich alleine Respekt. Er untermauert diesen mit Leuchtturmprojekten – in Quartieren und am Stadtrand. Welche von denen in den letzten 10 Jahre realisiert wurden oder absehbar werden, hinterfrage ich an dieser Stelle lieber nicht. Zu peinlich wäre die Antwort.

 

Ich könnte ihnen jetzt eine Auflistung von Negativbeispielen runterlesen, die auf Basis dieses Masterplans in der Stadt passiert sind. Massnahmen, die im direkten Widerspruch zu den Antworten des Stadtrats stehen. Massnahmen die vor allem aufzeigen, dass ein Plan gut gemeint sein kann, es die Resultate daraus aber dennoch nicht zwingend sein müssen. Das würde Sie aber sicher langweilen, hier und jetzt nichts bringen. Lesen Sie die erwähnten Postulatsberichte und stellen die darin formulierten Aussagen und Ziele des Stadtrats zum Thema Mobilität gegenüber. Unabhängig davon, wo Sie politisch stehen, werden Sie die Widersprüche sicher selbst entdecken – zu offensichtlich sind sie.

 

Ohne dem MIV etwas weg zu nehmen, werden die Ziele des Mobilitätskonzept nicht erreicht werden können, die erhöhten der emissionsneutralen Stadt noch viel weniger. Daran hat und wird sich nichts ändern! Sie können uns noch lange weiss machen wollen, der Masterplan werde es richten. Es gehe ohne fundamentales neu Denken des verfügbaren Strassenraums, hinterfragen der heutigen Verkehrsströme und Mobilitätsnutzung. Daran kann und wird auch mehr Personal in der Verwaltung, mehr Geld grundsätzlich, nichts ändern. Den mehr Platz bekommen wir damit auch nicht.

 

Wir werden dem Antrag des Stadtrats geschlossen nicht zustimmen. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass bei einer erneuten Runde die Antworten wenigstens ohne die Widersprüche ausfallen, der Stadtrat aufhört uns etwas verkaufen zu wollen, was nicht geliefert wird. Wann der Stadtrat diesem Grundpfeiler für eine nachhaltige städtische Mobilität den Raum und Priorität zuspricht, den er für die Erfüllung dieses Anspruchs braucht. Auch wenn sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Widersprüche nicht sehen oder diese ihnen egal sind: Wir erwarten, dass die Zeit des Zusammensuchens der Informationen so oder so endgültig vorbei ist.

 

Ich freue mich auf den Tag an dem eine Stadträtin oder Stadtrat vor das Parlament tritt und die Worte des Brüsseler Stadtrat Bart Dhondt sagt: «Autos sind weiterhin willkommen. Aber sie kommen in der Prioritätenliste als letztes.».